Klasse Deutsch Film

KLASSE DEUTSCHein Film von Florian Heinzen-Ziob
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REGIEKOMMENTAR

Während eines Kurzfilmprojekts mit Schülern der Kölner Henry-Ford-Realschule zum Thema “Geld und Schulden“ entdeckte ich an einer Tafel einen seltsamen Stundenplan: Montag bis Freitag - 5 Stunden Deutsch. Immer nur Deutsch. Ich fragte, wer sich diesen sadistischen Stundenplan ausgedacht hatte, und stieß auf Ute Vecchio und ihre Vorbereitungsklasse.

Die VK ist die erste Station für Kinder, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Hier werden sie in maximal zwei Jahren in das deutsche Schulsystem integriert. Dabei bringt jeder Schüler einen ganz eigenen Wissensstand mit. Manche Schüler haben in ihren Heimatländern Eliteschulen besucht und können über das Niveau der VK nur lachen. Andere haben in ihrem kurzen, bewegten Leben weder Lesen noch Schreiben gelernt. Für die Klassenlehrerin machen es diese unterschiedlichen Wissensstände schwierig, einen gemeinsamen Unterricht zu gestalten. Weshalb Ute Vecchio sich entschieden hat, nach Möglichkeit mit jedem Schüler einzeln zu arbeiten.

Die VK Klasse der Hnery-Ford-Realschule

Als ich die VK zum ersten Mal besuchte, war ich sofort fasziniert von der Leidenschaft und Energie, mit der hier Kinder aus der ganzen Welt mit der deutschen Sprache ringen. Was ist der Unterschied zwischen “finden“ und “erfinden“? Wie konjugiert man “bitten“? Gleichzeitig wurde mir klar, dass die Klassenlehrerin hier viel mehr leistet, als Grammatik zu pauken. Sie ist erste Ansprechpartnerin, wenn die Kinder Heimweh haben oder von Abschiebung bedroht sind. Sie repräsentiert schulische Strenge und schützt die Kinder gleichzeitig vor ihren allzu ehrgeizigen Eltern. Sie kann erklären, wie ein Wörterbuch funktioniert und das deutsche Rechtssystem. Man könnte sagen, Ute Vecchio ist das erste Stück Deutschland, das die Kinder kennenlernen. Und ich war beeindruckt, was für einen guten Job sie dabei macht.

Ich wusste sofort, dass ich über diese ungewöhnliche Schulkasse einen Film drehen musste. Keinen weiteren besorgten Beitrag über Flüchtlinge, sondern einen emotionalen, harten aber auch humorvollen Film über den Mut, die Energie und Leidenschaft junger Immigranten, die alles daransetzen, in Deutschland anzukommen. Dabei hatte ich das Glück, dass Klassenlehrerin Ute Vecchio, aber auch die Protagonisten meines Films, die zwölfjährige Pranvera aus Albanien, der dreizehnjährige Schach aus Kirgisien, der dreizehnjährige Kujtim aus dem Kosovo und der fünfzehnjährige Ferdi aus dem Kosovo sich mit großer Energie und Freude der Kamera öffneten.

“Klasse Deutsch“ bearbeitet ein Thema, das gerade sehr intensiv und kontrovers in Deutschland diskutiert wird. In den politischen Debatten wird über Flüchtlingszahlen und Grenzschließungen gestritten. Populistische Parteien ziehen ihre Kraft aus der Angst vor der vermeintlichen Überfremdung. Für mich als Filmemacher war klar, meinen Film aus der tagesaktuellen Sichtweise herauslösen. Anders als Reportage oder Informationssendung, muss ein Kinofilm meiner Meinung nach immer auch einen zeitlosen, universellen Aspekt haben.

Ich entwickelte Strategien, den Film abzugrenzen, weshalb ich nicht die gleichen Bilder und Erzählungen reproduzieren wollte, die in den Nachrichten laufen. Ich wollte keine Bilder von überfüllten Flüchtlingsheimen und Problembezirken drehen. Stattdessen lag der Fokus auf einem Ort, den wir alle nur zu gut kennen - die Schule. Die Reduktion auf einen einzigen Raum - fast der gesamte Film spielt im Klassenraum der VK – war die wichtigste Entscheidung. Wir erfahren über die Schüler, über ihre Herkunft, über ihre familiäre Situation, über ihre Probleme nur, was im Unterricht besprochen wird. So werden die Protagonisten nicht als hilfsbedürftige Objekte, sondern handelnde Akteure gezeigt. Wie sie lernen, vermeiden, scheitern und kämpfen. So schauen wir nicht auf die Schüler herab, sondern befinden uns auf Augenhöhe mit ihnen an einem Ort, der nicht das Fremde und Exotische der Protagonisten betont, sondern das Verbindende und Bekannte. So ist “Klasse Deutsch“ zu einem universellen Film über Kindheit und Lernen geworden.

Auch die Entscheidung, den Film in Schwarzweiß zu drehen, ist eine Strategie, ihn visuell aus der Zeit zu lösen, und es den Zuschauern leichter zu machen, Verbindungen zur eigenen Schulzeit herzustellen. Zudem ist eine Schulklasse visuell ein sehr unruhiger Ort. Die Stühle sind rot und konkurrieren mit den bunten Heften, die auf den Tischen liegen, den farbigen Poster an den Wänden und den T-Shirts der Kinder. Das Auge findet keine Ruhe, und die Protagonisten, die eigentlich im Zentrum des Films stehen sollten, verschwinden in einem Chaos aus Farben. Der Verzicht auf Farbe holt die Kinder ins Zentrum des Bildes, und verleiht der Erzählung etwas Archetypisches.

Mit diesen Überlegungen begann ich mit den Dreharbeiten. Sechs Monate drehten wir regelmäßig in der VK. Wir kamen zur 1. Stunde und blieben zum Ende der 5. Stunde. Dabei bauten wir eine intensive Beziehung zu den Schülern und der Lehrerin auf. Mit unserem kleinen dreiköpfigen Team wurden wir Teil des Unterrichts. In langen Einstellungen, die manchmal bis zu 30 Minuten dauerten, konnten wir die Lernsituationen einfangen, ohne sie zu stören. Außerdem machte ich zwei Filmkurse mit den Kindern, und sie konnten die Erfahrung machen, auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. Mit der Zeit gewöhnten sich die Kinder an die Kamera. Wir wurden unsichtbar und ohne es zu merken, wurden wir Teil der Klasse. Wir gingen selbst wieder zur Schule.

“Klasse Deutsch“ ist nun fertig. Ute Vecchio unterrichtet weiter in der VK-Klasse, mit neuen Kindern aus aller Welt. Die Kinder meines Films sind aufs Gymnasium gekommen, von der Schule geflogen oder abgeschoben worden. Sie alle gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Trotzdem glaube ich, dass die Zeit die sie in der VK verbracht haben, ihnen auf ihrem weiteren Weg helfen wird. Vor allem ihre Lehrerin Ute Vecchio wird ihnen mit ihrer Mischung aus Strenge und Zuneigung ein Vorbild bleiben, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.

Was habe ich gelernt in der VK? Meine eigene Schulzeit mit anderen Augen zu sehen. Nicht, wie damals, als quälende Zeitverschwendung, wenn die Uhren rückwärtsliefen. Sondern zu verstehen, was für ein Privileg es ist, zur Schule gehen zu dürfen.